P A N Z E R

W I E S E

“Was sagt sie denn, die Panzer Wiese? Sie flüstert nur.” (07.12.22)

Autor*innen:
Katrin Diehl
Jan Geiger
Denijen Pauljević
Theresa Seraphin
Rinus Silzle

Regie: Verena Regensburger
Dramaturgie: Gwendolin Lehnerer

Ouvertüre: GROSSMEISTER

CDF
Einmal besuchte der Großmeister Caspar David Friedrich den Großmeister Johann Wolfgang von Goethe. Wie lange hatte der Großmeister Caspar David Friedrich auf diese Begegnung gewartet, wie lange sie herbeigesehnt, wie sehr sich darauf gefreut. Der Großmeister Johann Wolfgang von Goethe zieht sein Wams zurecht, …

JWG
… aber auch dann mag eine Conversatio Rationalis nicht so richtig in Gange kommen. Der Großmeister Johann Wolfgang von Goethe schenkt erst einmal Wein ein.

CDF
Roten.

JWG
“Da habt Ihr aber genau gearbeitet. Da habt Ihr aber viel Zeit hineingesteckt in diese kreidenen Felsen und diese eisigen Schollen und dieses kräuselnde Meer und diesen grollenden Himmel.” ”Ja”, sagt der Großmeister Caspar David Friedrich, ...

CDF
… ”es mag gedauert haben, aber auf die Zeit ist es mir nicht gerade angekommen”.

JWG
”Ach, nein?", sagt da der Großmeister Johann Wolfgang von Goethe, ”nicht auf die Zeit ist es Euch angekommen?" Dann wohl auf die Genauigkeit? Auf die Genauigkeit ist es Euch angekommen, ist es nicht so?”

CDF
”Nein, auf die eben auch nicht,” sagt der Großmeister Caspar David Friedrich und er beginnt, in seiner Kopfhaut einzelne Haarwurzeln zu spüren. “Auf die eben auch nicht”.

JWG
“Auf die eben auch nicht, auf die also auch nicht.”

CDF
“Nein, auf die eben auch nicht,” und lässt seine Lippen zu Boden fallen. “Das Romantische wolltet Ihr hervorkehren, das ist es, nicht wahr, Großmeister Caspar David Friedrich, das wird es ja wohl sein.” – “Mehr so das Unsagbare,” versucht sich der Großmeister Caspar David Friedrich noch einmal, und das lässt sich auch gut ohne Lippen sagen.

JWG
“Aha, aha,” sagt der Großmeister Johann Wolfgang von Goethe, “aha, aha, und wo wird das wohl hinführen, wenn das so weiter geht?”

CDF
(flüstern) Das weiß der Großmeister Caspar David Friedrich auch nicht, …

JWG
… was dem Großmeister Johann Wolfgang von Goethe die Gelegenheit bietet, ihm aus der letzten Quartiära der Gelehrtenblätter Miracula Terrae vorzulesen über Wolken, deren Wassertröpfchengehalt Dreiviertel ihres Volumens ausmachten, und Wolken, deren Wassertröpfchengehalt die Hälfte ihres Volumens ausmachten, und Wolken, deren Wassertröpfchengehalt ein Viertel ihres Volumens ausmachten. “Ihre Wässrigkeit wird sich in ihrem Bilde wohl niederschlagen, meint Ihr nicht auch Großmeister Caspar David Friedrich,” sagt Großmeister Johann Wolfgang von Goethe.

JWG
“Meint Ihr das nicht auch?”

CDF
“So wird es sein,” sagt Großmeister Caspar David Friedrich, “so wird es sein, aber was wollt Ihr mir damit bedeuten, Großmeister Johann Wolfgang von Goethe, was um Gottes Willen, wollt Ihr mir damit bedeuten?”

JWG
(kurze Pause) “Geht jetzt und malt,” sagt der Großmeister Johann Wolfgang von Goethe und tritt auf die Lippen des Großmeisters Caspar David Friedrich.

Ein potenzieller Anfang

ein wald

von oben

ganz dicht

und dunkel

hineinsehen

kann man nicht

wir hören – rotoren

oder flügelschläge

eine harte kante

ein durchgezogener strich

wie gemalt

grenzt ihn ab

den wald

von der ruhenden fläche

nebel

ganz dicht

und hell

kriecht heraus

aus dem dickicht

über die linie

auf die fläche

ganz leer

eine riesige fläche

ganz leer

die in sich ruhend da liegt

ganz still

mucksmäuschenstill

liegt sie da

immer weiter

und weiter

schiebt er sich vor

der nebel

stück

für stück

begräbt er den dunklen untergrund

macht ihn heller

nebelweiß


bis er sie

die fläche

vollständig überzogen hat

ein unschuldiger teppich

unter dem es schlummert

es genügt ihm nicht

dem nebel

macht nicht halt

nicht vor dem nächsten rand

der nächsten linie

einer abgrenzung

hin zum beton

ein meer aus wolke

bodennah

überfällt die straße

schleicht sich rein

in die siedlung

aus kasernen

nimmt manche abzweigung

und manche

lässt es liegen

/

die anger entlang

fingerkraut

felsennelken

golddistel

über den zauneidechsenweg

in den schwung der mortonstraße

ihn nimmt sie mit

und steigt wieder nach oben

stockwerk

für stockwerk

mal brennt ein licht

mal kein’s

wir hören rotoren

oder flügelschläge

KRÄHE: Kadaverzeit

KRÄHE:
Willst du etwas über Insekten lernen? Dann beobachte die Menschen. Die Welt wird immer kleiner, je länger man sie anstarrt – die kleinen Punkte mit Beinen. Sie sind von Linien umgeben, Menschenpunkte irren durch die Straßen, sie sind schön, weil sie existieren, aber keiner will wissen, was sie einander erzählen.

KRÄHE: wir schauen gerne

sind stille Beobachter*innen

zweier ohne flügel ziehen über die wiese

als hätten sie ein ziel

wir kennen unsere pappenheimer

wir kennen die, die mit uns leben

KRÄHE: und die gegen uns sind.

KRÄHE: wir kennen ihre blicke

KRÄHE: und die grausame neugier der kinder

wir erziehen sie nicht

küken fliegen mit oder sterben

KRÄHE: wir erzählen von der zeit der kadaver

KRÄHE: zeit der käfer

KRÄHE: zeit der maden

KRÄHE: schau es gibt zeiten für augen

für früchte, für eier

für nasses gefieder

für hilflose leiber

zeit für geschenke von leichen

zeit für geschrei

KRÄHE: jedes kräh ist ein ‘und’

Wolke / Regen

Seit Monaten… Seit Monaten begräbt eine Wolke die Stadt unter sich. Sie klammert sich an den Häusern fest, saugt sich an den Asphalt und hüllt auch die Wiese in einen dicken Nebel. Am milchigen Himmel ist nur selten die Sonne auszumachen.

ALLERGIKERIN

Aus ihrem Turm schaut sie von oben durch das dichte Geflecht vor ihren Augen herab auf das Naturschauspiel. Wie alles unter der Decke verschwindet. Warum kann das kein Dauerzustand sein? Warum kann all das nicht ein für alle Mal verschwunden bleiben? Genüsslich steht sie da in ihrem Käfig aus feinmaschigem Pollengitter, der den Balkon zu einem Erker macht, und denkt diesen befreienden Gedanken in diesem einengenden Schutzraum.

Sie wird nicht müde, daran zu denken. Müde wurde sie von der 1. Generation. Vom Clemastin und Hydroxyzin. Allein der Gedanke daran lässt sie wieder gähnen und in Erinnerungen schwelgenan verschlafene Sommer. Damals noch Kind im ersten Stock. Es hat Jahre gedauert, bis sie endlich oben angekommen war. Die Luft hier oben ist reiner. Die Pollendichte geringer. Zusammen mit der 2. Generation: Mit Loratadin, Cetirizin, Desloratadin, Fexofenadin, Nasensprayund Augentropfen macht es das Leben weniger tränenreich, es macht es erträglich und mit Wunsch- vorstellungen sogar süß. Süß wie ihren Kaffee, den sie angefangen hat zu trinken. Denn der Kaffee erweitert die Blutgefäße. Er lindert das allmorgendliche Stechen im Rachen nach dem Aufstehen, dass sich beim Schlucken wie eine Nadel durch den Gaumen schiebt bis hoch ins Hirn. Der Kaffee betäubt es. Verdrängt die Symptome durch Aufregung. Wenn sie viel Kaffee trinkt, gleichen diese Müdemacher die Aufregung aus. Wenn sie glaubt, am Tag keinen Kaffee trinken zu müssen, greift sie auf die 2. Generation zurück. Sollte sie an so einem Tag aber doch noch Kaffee brauchen, steuert sie gern mit Alkohol entgegen. Der bringt sie wieder runter und zur Ruhe. Laue Sommertage sind meist beschwipst.

Sie hat lange gebraucht, um Umgang zu finden. Das Austarieren des Koffeins mit den Nebenwirkungen der Tabletten und dem Alkohol gleicht einem Kampf. Dann liegt sie wach im Bett und will da raus, nach draußen, nur macht es das noch schlimmer, aber drinnen wird sie verrückt, also bleibt nur der Erker: Ihr Käfig aus feinmaschigem Pollengitter.

Schlaflose Nächte ersparen ihr immerhin das allmorgendliche “Stechen im Rachen nach dem Aufstehen”. Dann schleicht es sich langsamer ein, im Laufe des Tages, zusammen mit der Müdigkeit. Kaffeekonsum wird in Erwägung gezogen. bleibt dann doch konstant: Verschiebt sich nach hinten… oder steigt sogar. Je nach Überdenken. Immer dieses Überdenken. Immer muss man sich entscheiden und jede Entscheidung erfordert eine nächste, die wiederum eine nächste Einnahme bedingt und eine nächste nach sich zieht, die einem wiederum eine Entscheidung abverlangt, was den Kopf sich ununterbrochen drehen lässt. Zur Ruhe kommt er nie. Immer muss man in sich gehen, sein Inneres abtasten, abchecken. Ablenkung davon verschafft nur das Draußen und auch wenn nur es die Spirale wieder in Gang setzt, kann nur es, das Draußen, sie vergessen machen. Darum verbringt sie so viel Zeit auf dem Balkon, diesem einengenden Schutzraum und guckt durch das dichte Geflecht vor ihren Augen herab auf die Wiese. Eine Tasse Kaffee in der Hand.

Dass dieser auf den Magen geht, ist das geringere Übel dank Pantoprazol. Auf einem kleinen Tisch stellt sie die Tasse ab und guckt durch das dichte Geflecht vor ihren Augen herab auf die Wiese, auf das Schlachtfeld mit all seinen Kratern und offenen Stellen, worüber Gras gewachsen ist, nach dem die Panzer drüberfuhren. Von oben sind sie noch zu erahnen. Ergeben einen Flickenteppich, ein Stück Patchwork. Das erinnert an ihr Hautbild im Winter. Wenn im Spätsommer die Gräserpollen fliegen und für viele kleine Hautirritationen sorgen, die sich nach und nach entzünden, nässen und bluten, kratzt sie diese immer weiter auf und zu Kratern, bis alles außer Kontrolle gerät und bald 30 dann 40 dann 50% der Haut offen liegen. Das bedeutet Kur und Cremen. Mit Cortison, das panzerähnlich alles platt macht, so lange bis neue Haut wie Gras darüber wächst. Sie und die Wiese haben einiges gemein. Im Winter ist Ruhe. Im Sommer wird besetzt. Auf der Wiese besetzen Ödlandschrecken und Frösche die Rinnen, die Panzerfahrwerkspuren und in ihrem Körper besetzt das Koffein die Adenosinrezeptoren und die Antihistaminika die Rezeptoren fürs Histamin. Überall wird gekämpft.

Manchmal muss sie raus, um drinnen nicht verrückt zu werden. Dann stellt sie sich der Wiese und dem Kampf. Trifft Vorbereitungen. Setzt einen Hut auf wie einen Helm. Sonnenschutzbrille. Lange Leinenhosen, langes Leinenhemd – eine luftige Rüstung, die Kniekehlen und Armbeugen überdeckt. Angriffsfläche verringern. Eine Bauchtasche wie einen Gürtel um den Torso geschnallt. Darin die Augentropfpatronen, das Nasenspray, Tabletten 1. und 2. Generation, Cortison, etwas Alkohol und den Inhalator. Einen Schlachtruf auf den Lippen viel mehr noch ein Fluch, der sich in ihren Gedanken wie Nebel über die Wiese legt, alles unter sich begräbt und nichts mehr auch nur ansatzweise schlummern lässt, sondern erstickt, allem den Atem nimmt, wie er ihr genommen wird, wenn die Natur angreift und sich die Pollen in ihren Lungen festsetzen. An diese Wunschvorstellung verschwendet sie gerne ihre Gedanken und so sehnt sie ihn herbei, so beschwört sie ihn herauf, …

Wolke / Regen

Fast täglich kommt der Regen. Mal sind es starke, plötzliche Schauer. Dann lange, stetige Regenfälle, die sich als große Pfützen auf den Straßen sammeln.
In der Dämmerung streichelt ein sanfter Regen die Wiese.

AM RAND

BÄUME: wir stehen am rand in der mitte/

wir sind der rand an der brache/

wir randen mittig aus/

wir tasten uns rein, wurzeln uns ran_

werfen uns ab in die brache in/

uncharted land

wir sind besonnen,/ bedächtig,/ mit zeit in den ringen
wir stehen am rand/ ein geflecht

wir stehen am rand in der mitte/
wir sind der rand an der brache/

den wind und die sonne fangen/
verkapseln/ und atmen/

verzweigen uns,/ wurzeln uns rein/

wir verlängern uns in die horizont-lande/
wir stellen uns auf,/ gruppieren uns locker/
wurzeln am versprochenen ort/

das graue und lose versprechen/

EIER-TANZ

(vor einem Verbotsschild. Grübeln.)

A: Trotzdem drauf?

B: Drüber!

A: Also drauf?

B: Aber gleich wieder runter.

A: Bloß nicht bummeln oder gar drauf ausharren!

B: Möchtest du lieber huschen?

A: Ja, das möchte ich.

B: Mit dir drüber.

B: Na dann drauf!

A: Halt.

B: Was?

A: Was, wenn wir es nicht schaffen?

B: Du meinst, wegen der Blindgänger, oder?

A: Was für Blindgänger?

B: Vergiss es, die sind bestimmt längst…

A: Hochgegangen?

B: Ja, oder abtransportiert.

A: Was meinst du, schaffen wir’s nicht?

B: Zu huschen.

A: Warum sollten wir es nicht schaffen, zu huschen.

B: Bin ewig nicht mehr gehuscht.

A: Dann lass uns Huschen üben.

Sie üben zu huschen.

B: Bereit?

A: Bereit!

B: Also los.

A: Aber warum dachtest du, wir könnten es vielleicht nicht drüber schaffen?

B: Dachte ich nicht.

A: Doch dachtest du, da war noch ein…

B: Wegen der Blindgänger?

A: Du dachtest noch an etwas, ganz kurz.

B: Aber wirklich nur ganz kurz.

A: Aber du dachtest es.

B: Nun ja, ein Huschen ist immer auch ein Hudeln. Ein falscher Schritt und das war’s.

A: Also doch wegen der Blindgänger?

B: Es geht nicht um uns! Vielleicht war’s das dann mit einer anderen Spezies.

A: Ein falscher Schritt und der Molch ist dahin.

B: Hab ich nicht bedacht.

A: Damit aber ist umzugehen.

B: Obacht ist das höchste Gebot.

A: Nur schließt das Eile aus und somit auch das Huschen.

B: Je länger wir aber zum Störfaktor werden, umso stärker steigt auch das Risiko, dass wir etwas zerstören. Ein Huschen kann auch ein Akt der Demut sein.

A: Ein Huschen ist ein Pfuschen. Punkt.

B: Erst recht, wenn man unerfahren ist und das sind wir.

A: Das sind wir, zweifelsfrei.

B: Und wer weiß, was uns da alles entgeht: Die Warzenbeißerschrecke, die Wechselkröte…

A: der Bläuling und Amsel und Drossel und Fink und Star.

B: Was schlägst du vor?

A: Eine Art zügiges, den Boden abscannendes, die Umwelt wahrnehmendes Bummeln.

B: Mit Bedacht und Weile. Zur Sicherheit.

A: Das verringert die Kontaktzeit mit dem Boden enorm.

B: Ich frag mich einfach, ob dieses Stück Landschaft überhaupt von uns begangen werden will. Das Schild zählt über ein halbes Dutzend Verbote. Allein das erste macht es uns unmöglich: „Es ist verboten, Pflanzen oder Pflanzenbestandteile zu entnehmen oder zu beschädigen.“

A: Aber es gibt doch Wege. Für uns. Das ist eine Einladung, eine ausgestreckte Hand, die es zu schütteln gilt. Ganz vorsichtig, versteht sich.

B: Fühlt sich das nicht gut an?

A: Zugegeben.

B: Und wo ein Schütteln da auch ein Knuddeln, oder?

A: Und?

B: UND?

A: Ja, ist schön.

A: Siehst du! Das hier kann ein Anfang sein.

B: Diese Begehung kann ein Übergehen in eine Begehrung sein.

A: Begierde, das Wort heißt Begierde.

B: Dein Denken in Begrifflichkeiten creatum ab hominibus ist nur ein Klammern an den Anthropozentrismus und damit Ausdruck einer Agoraphobie.

A: Ich mag einfach nur auf kein Vogelei treten.

B: Damit nehme ich nur dich beim Wort, andere Spezies und so.

A: Die brüten hier im hohen Gras, steht doch auch da.

B: Was, wenn es nicht da stünde?

A: Es steht aber da. „Schutzgebiet“! Das bedarf einer aktiven Handlung.

B: Aus Sicht der Evolution haben wir das ja bereits – Von vier auf zwei Beine. Das ist eine Reduzierung der Zertramplungsfläche um 50%.

A: Ich habs.

B: Eierlauf!

A: Du willst keine Eier und auch sonst nichts zerstören, dann geh als würdest du ein Ei balancieren.

B: Nicht schlecht.

A: Oder?

B: Das macht schon was her.

A: Und jetzt noch die Fersen anheben. Nur auf dem Vorderfuß gehen. Kontaktflächen minimieren.

B: So?

A: Schuhe aus! Kontaktaufnahme!

B: Tarnen. Denn ein Tarnen ist ein Warnen.

A: Wer sich tarnt, ist sich seiner Störung bewusst und kann sie so gut es eben geht umgehen.

B: Mir reicht´s jetzt. Ich fange bei der Kontaktaufnahme doch nicht damit an, meine Existenz zu verleugnen. Das ist Betrug. An der Natur, an dir, an allem. Wir müssen uns frei machen von dem, was uns glauben macht, wir seien nur Besucher*innen. Das sind wir nicht. Ich lass mir doch von einem Schild nicht diktieren, ich sei nicht zugehörig. Wenn ich will, dann übernachte ich auf dieser Wiese. Erst eine Nacht, dann zwei, dann drei, eine ganze Woche und irgendwann, das verspreche ich dir, da kommen die Krähen vom Himmel zu mir und wir teilen ihre Walnüsse. Wir gehen eine Symbiose ein, sie bringen sie mir, ich knacke sie und wir machen fifty-fifty. Und dann trauen sich auch Schafe her und wärmen mich mit ihren Fellen in den kalten Nächten und die Frösche quaken uns in den Schlaf. Pass nur auf, was alles passieren wird, wenn wir nur endlich einmal anfangen würden…

A: Spürst du das?

KRÖTEN

KRÖTE: Wetterfrosch

KRÖTE: Mir macht das nichts. Gar nichts. Ich bin ein richtiger Wetterfrosch. Ich muss immer raus. Immer gleich losschwimmen, loslaufen, losradeln. Aber heute ist’s besonders! Heute liegt was in der Luft! Der Frühling ist da! Heute Nacht bleiben die Temperaturen über Null! Das heißt nur eins: Krötenwanderung! Heute Nacht kommen wir aus unseren Löchern, lösen uns aus der Starre und setzen uns in Gang. Das wird ein Fest!

KRÖTE: Ihr nicht

KRÖTE: Eines muss von Anfang an klar sein:

Ihr – seid nicht gemeint.

Ihr,

die ihr da sitzt – in dieser Nacht –

und versucht,

etwas zu verstehen.

Ihr – seid nicht gemeint.

Auch wenn es eure Art ist, sich gemeint zu fühlen. Immer. Ihr seid es

nicht.

So sehr nicht, wie die Lampe die Insekten meint, die um sie kreisen. So sehr spricht die Kröte nicht.

Sprechen wir nicht zu euch.

CHRÖTE: (Chröten singen zitternd auf hohem E)

I·i·i·i·i·i·h·h·h·r· s·e·e·e·e·i·i·i·i·d n·i·i·i·i·ch·t g·e·e·e·m·e·e·i·i·i·nt.

I·i·i·i·i·i·h·h·h·r· s·e·e·e·e·i·i·i·i·d n·i·i·i·i·ch·t g·e·e·e·m·e·e·i·i·i·nt.

KRÖTE: Kröte philosophiert über die Jagd
Ich als Stein. Ich als Blatt. Ich als Zunge. Ich als Schlund. Ich als Sprung. Ich als Fraß. Ich als Tiger. Ich als Gift. Ich als Aas.

KRÖTE: Kröte hat den Plan
Erst muss die Sonne durch mich durch. Bis dahin hock ich. Sonn’ mich. Bis mein Körper die Temperatur der Sonne angenommen hat. Setz mich dann in den Schatten. In die schattigste Mulde. Warte, bis ich die Sonne abgeben. Es dauert sehr lang. Also weiß ich, dass ich abgeben kann. Dass ich mehr wärmen kann als nur mich. Dass ich mehr werden kann. Und jetzt geh ich los.

KRÖTE: Kröte auf der Jagd
Nelkenrot. Blattgrün. Kieselgrau. Lausrot. Laustot. Lausrot. Laustot. Erdbeerrot. Plastikgrün. Laubbraun. Moosrot. Papiergelb. Eigrau. Käfergrün. Käfertot. Käfergrün. Käfertot. Käferrot. Käfertot.

KRÖTE: Crow Jane

KRÖTE: Crow Jane, don't you hold your head high

Crow Jane, don't you hold your head high

Someday, baby, you know you got to die

Eines Tages, Baby, weißt du, musst du sterben

musst (auch) du sterben

Shoot Crow Jane, just to see her fall

She got to fall, she got to…

She got to fall, she got to…

KRÄHE: Crow Blues

KRÄHE: we meet at the crossroads

ain’t no walnut for me here

ain’t no walnut anywhere

don’t talk to the devil no more

devil giving me the walnuts

throw them next to me

ain’t no silver in the eye

blackest of them all

gonna pick those silver drops

pick’em wet and dry

ain’t no silly walnuts

go pick those devils eyes

meet them on the pathway

caw them devils walking

ain’t no walnuts for me here

ain’t no silver in the eyes

KRÄHEN: Schland

KRÄHE: In dieser Pfütze.

In dieser Pfütze jedenfalls leben seit Generationen

Munition, Toxine,

verlorene Körperteile, Panzer und Kröten glücklich!

Glücklichst!

Nebeneinander.

Es war die Zeit der großen Kriege. In der Schland...

KRÖTE: SCHLAND!

KRÄHE: ...ein um’s andere Mal sein Helden-tun, sein Opfer-tun, sein Schuld-tun, sein Täter-tun, sein bestialisches Atem-, Lunge-, Körperteile-, Verstand-, Herzraubendes TUN, eben sein allgemeines SCHLANDTUN unter Beweis stellte. Und hier außerdem nebenbei, ganz nebenbei...

KRÄHE: ...für den Erhalt, den Arterhalt, den Ausbau, die Erweiterung einer ganzen Art,

der Wechselkröte, sorgte.

Die Wechselkröte

zwischen Zigarettenstummeln,

Kraut(s) und Kartoffeln

Benzin, Öl und Männlichkeit

KRÄHE: die Wechselkröte

die “wechselt die Seiten”-Kröte

die “Kulturfolger”-Kröte

die einfach so, mir nichts dir nichts,

in die Pfütze laicht.

In die Panzersuppe, Schlamm-Pfütze

am 30. April ‘45, acht Tage vor Kriegsende,

perfekte Laichzeit,

laicht sie in die Gruben der Panzerwiese.

KRÖTE

KRÖTE: Kröte laicht ab

Bin seit fünf Nächten gebockt. Wander ohne Unterlass. Finde Meere klein wie Seen, Seen klein wie Weiher, Weiher wie Teiche, klein wie Tümpel, wie Pfützen. Pfützen groß wie Spuckflecken. Ihr Wasser hält zwei Wochen. Mein Laich braucht zwölf. Ach bände die Wolke das Wasser! Ach könnt ich meinen Laich in sie legen, ihn mit ihr ziehen lassen durch die Täler, ein Bett suchen, sich abregnen zur Pfütze, schlüpfen daraus, nein. Bin gebockt seit fünf Nächten. Ich suche nach Ablass und eile voraus: Leg den Laich in die Mulde. Soll kommen das Wasser. Leg den Laich in die Kuhle. Soll werden zum See. In den tiefsten Punkt, in die Senke, leer ich mich aus.

KRÖTE: Kröte und die Bockplage
Erst der Nachbar. Der kennt mich noch als Quappe. Kaum tret ich aus der Mulde, zack. Zack auf den Rücken. Ich fauch:

Du allerletzter spermastreuender Klammerflex. Du willenloser blindgeeichter Laichbestäuber! Du Reagenzglas, du Zyklus auf vier Pranken! Ich schlag deinen Körper an die Wurzel. Schlag, bis du abfällst. Dann, drei Bäume weiter ruft einer: K·o·o·o·m z·u·u·u m·i·i·i·i·r! D·u·u·u w·i·i·i·llst e·e·e·e·e·s a·a·a·u·u·u·ch! Ich mach einen Bogen. Nehm den Pfad über den Hügel. Plötzlich Bockblock. Ei, zwei, drei Böcke, Klammer an Klammer, direkt vor mir. Ich wieder: Ihr Spermabeutel! Ihr Fortpflanzungsfaschisten! Ihr Reproduktionspfützen! Ihr In-vitro-Scheißer! Aber nix zu machen. Böcke nehmen Anlauf, krallen sich an Bein, Kopf, Bauch. Ich werd zum Krötenball. Roll den Hang runter. Immerhin schneller als Laufen. Immerhin mit Böcken als Polster.

KRÖTE: Kröte und Kadillac
Kaddi kommt. Kaddi kommt. Ich steh. Steh still. Still auf vier Pranken. Fauch. Kaddi faucht auch.
Kaddi steht. Steht auf vier Pranken. Luft rein raus. Motor. Atem. Aus. Ich pluster mich. Prall. Tür zu auf. Duft Chanel Nummer 5. Setzt mich auf Haube. Ich Duft Marke Stark. Jetzt smaragdgrün auf smaragdgrün. Ich seltene Art auf seltener Art. Ich gefährdete Art auf gefährlichem Gefährt. Ich Unikat auf Unikat. Ich Lenden grün er Felgen gold. Ich schützenswert er mehr wert. Fuck.

KRÖTE: Kröte gebockt

:;

;: •

:;

;:

;:

:; •

;:

:;

:;

;: •

KRÖTE: Alternative F.

KRÖTE: Kröte denkt über alternative Fortpflanzung nach
Nicht 1.000 Eier, 10. Hier ums Eck. Keine Wanderschaft. Erst kommt das Wasser, dann komme ich, dann der Bock. Bussi, bye bye. Ich bleib beim Laich. Sage: Idi, Som, Alo, Fen. Egi, Mux, Ome, Nut. Ino, Kuv. Warte, schaue, schaue, warte, schlafe – schlafe – schlafe – nein. Schaue. Schaue. Kuv tot. Oh nein. Weine. Weine Wasser. Baue ein Dach. Baue mit Schilf, Ästen, Blättern. Ino stirbt, Nut. Ich baue eine Alarmanlage. Stromschlag. Warte, Schaue, Warte. Ome, Mux tot. Tot! Ich in Rage. Allein. Baue Schießsystem, Giftpfeile, schieße tot Reiher, Krähe, Specht. Alo, Fen, Egi quappen. Quappen im Wasser! Eine Freude! Eine große Freude! Feinde im Teich. Libellenlarven. Alo tot. Fen vermisst. Egi krank. Meine letzte Hoffnung sind Idi, Som. Idi will keine Kinder. Idi bleibt kinderlos! Really?? Som – los! Los!

KRÖTE: Aussterben

KRÖTE:

I·i·i·i·i·h·h·h·r h·ö·ö·ö·ö·rt m·i·i·i·i·i·i·ch n·i·i·i·i·i·ch·t

I·i·i·i·i·h·h·h·r h·ö·ö·ö·ö·rt m·i·i·i·i·i·i·ch n·i·i·i·i·i·ch·ch·t

V·o·o·o·o·m A·a·a·u·u·u·s·s·st·e·e·e·rb·e·e·e·e·n b·e·e·e·dr·o·o·o·ht

V·o·o·o·o·m A·a·a·u·u·u·s·s·st·e·e·e·rb·e·e·e·e·n b·e·e·e·dr·o·o·o·ht

F·u·u·u·u·ck F·u·u·u·u·ck F·u·u·u·u·ck

I·i·i·i·i·i·i·ch w·e·e·e·e·e·rd·e·e·e st·e·e·e·rb·e·e·e·e·n

D·a·a·a·a·s i·i·i·i·i·i·i·st m·e·e·e·i·i·i·n l·e·e·e·tzt·e·e·e·r G·e·e·e·s·a·a·a·ng

KRÖTE: Niemand und Alle

Und deswegen warnen wir euch und sagen euch ein für alle mal: Es ging nie um euch.

Und es wird der Zeitpunkt kommen, an dem euch das zum Verhängnis wird. An dem ihr fassungslos dort steht, wo eure Häuser gestanden haben, die der Fluss mit sich gerissen hat: An dem ihr eure Kinder aus den Bäuchen direkt ins Grab legt und ihr werdet euch fragen, wie es dazu kommen konnte und wer euch das antun konnte. Und ihr werdet an uns Kröten denken und uns rufen hören:

CHRÖTEN: (Chröten singen zitternd auf hohem E)

Ni·i·i·i·e·e·e·m·a·a·a·a·nd u·u·u·u·nd a·a·a·a·l·l·e·e·e·e!

Ni·i·i·i·e·e·e·m·a·a·a·a·nd u·u·u·u·nd a·a·a·a·l·l·e·e·e·e!

KRÄHEN-FLUG

Ni·i·i·i·e·e·e·m·a·a·a·a·nd u·u·u·u·nd a·a·a·a·l·l·e·e·e·e!

Ni·i·i·i·e·e·e·m·a·a·a·a·nd u·u·u·u·nd a·a·a·a·l·l·e·e·e·e!

KRÄHE: Schau

KRÄHE: schau wolken, schau sonne und flur

schau gräser, gras, büschel, schafe,

fläche, aufgerauht, gleichförmig zerlaufen

betreten, besiedelt, verworren

stadt verrauscht im hintergrund

leichte wolken, leichter wind

von 4 seiten begrenzt

wald, straßen, häuser, autobahn

moos, beton, gräser von wind angepresst

ein schaf & 500 mehr

ein schaf in der herde

der hunger, der schlaf, die gesellschaft

schafsreste, wollreste, dazwischen hunde & wieder zwei ohne flügel

halme im schrägen licht, halme im wind, wiegen sich leicht,

wir hängen uns in den wind

sprudeln heraus und hinein

zerstäuben die ströme

wir flattern, wir schauen

es zerschneidet ein glitzern

den himmel, ein falke

schau da

schau da

schau da

KRÄHE: KÄFERJAGD

KRÄHE: es gibt keine gebote der käferjagd

käfer sind dumm

sie haben keinen verstand

KRÄHE: sie krabbeln nur rum

KRÄHE: sind kleiner snack und tand

KRÄHE: du latscht nur rum und pickst sie auf

KRÄHE: du pickst sie auf und sie schmecken

KRÄHE: mal so, mal so, mal anders

KRÄHE: du hackst auf sie ein, du musst

KRÄHE: nur wissen wo, das ist

KRÄHE: das gebot, zu wissen wo

GROSSMUTTER & ENKELIN

Ödlandschrecke

GROßM.: Schau, schau – siehst du sie? Das ist die total beschränkte blaugeflügelte Ödlandschrecke. Die liebt Ödlandflächen – Trockenrasen, Sandgruben, Kiesflächen und vor allem die Panzerfahrwerkspuren. Aber: Ihre Kletterfähigkeit! Sie schaffen es gerade mal die kleinsten Gegenstände zu erklimmen. Vertikale Pflanzenstrukturen? Fehlanzeige. Und das Schlimmste – die Ödlandschrecken wurden beim Fressen von Aas erwischt.

ENKELIN: (rümpft die Nase)

GROßM.: Die Ödlandschrecken haben null Balzverhalten. Kein Werbegesang bei Männchen. Faules Pack. Die suchen einfach die Umgebung nach Weibchen ab. Wenn sie zufällig fündig sind, kommt es eventuell zu einem kurzen Zirpen und das war’s.
Anscheinend haben die Männchen ein sehr ungenaues Bild vom Aussehen der Weibchen. Sie versuchen, sich mit anderen Heuschreckenweibchen oder mit Holzstückchen, Zigaretten- schachteln oder anderen Gegenständen zu verpaaren. Es kommt auch vor, dass mehrere Männchen gleichzeitig mit einem Weibchen kopulieren wollen und sich dadurch gegenseitig behindern. Dann gibt es Streit. Die Weibchen reagieren darauf meistens mit Paarungsunwilligkeit.
Ihr Fluchtverhalten ist das Letzte! Sie ducken sich einfach, statt wegzuspringen. Hörst du die Flügelschläge? Sie kriechen heraus, aus dem Dickicht, aus der Wiese, hinterlassen eine ganz leere, riesige Fläche, die in sich ruhend daliegt, ganz still, mucksmäuschenstill, beinahe gespenstisch. Jetzt mache ich uns erstmal einen Tee aus Fingerkraut und Golddistel.

Schildkröten-Spalten

ENKELIN: Ich habe Hunger.

GROßM.: Es ist spät, aber gleich gibt’s was zum Essen.

ENKELIN: Jedes Mal, wenn die Großmutter mit der Axt ausholte, um Schildkröten zu spalten, war ich überzeugt, dass sie sich freuten, bald aufgegessen zu werden. Dem Geräusch vom Aufplatzen des Panzers… folgte eine Wunde, wie ein Lächeln.

Und eine Stunde später stand auf dem Tisch ein heißer Suppentopf. Ich saß still vor dem Teller, bewegte mich nicht, das Licht ging langsam aus, die Kerze verstummte. Aber in meinem Kopf brannte ein Warnlicht, Angst vor dem Nichts, ging tief durch den Magen, die Stille wiegte schwer, wiegte mich schwer in den Schlaf. Ich hörte die dumpfen Schritte der Großmutter. Die Möbelstücke knarrten, etwas flatterte um mich herum und glänzte im Dunklen auf. Ich sprang auf und schaltete das Licht ein. Eine schwarze Heuschrecke hing am Vorhang, ihre Augen waren rot. Ich schüttelte den Vorhang und als die Schrecke auf den Boden fiel, zerdrückte ich die Schrecke mit dem Fuß. Der Anblick zuckender Beine erschreckte mich.

Ich hatte etwas Außergewöhnliches zerstört. Auf einmal erschien mir die ganze Menschheit trostlos.

BAMBI & PANZER

BAMBI:

Bambi mit Schmetterling auf dem „Wedel“ (ein Teil, den das Tier als Hirschkalb outet, Kitzen haben keinen Schwanz). Bambi steht mitten auf unserer großflächigen „Wiese“.

Trägt vielleicht eine kleine Schärpe um den Körper mit folgender Aufschrift:

„I’m as dead as I may be.“

Hinter ihm rollt ein mächtiger Panzer heran. Überrollt Bambi. Macht es platt. Aber es dauert nicht lange, da steht Bambi wieder auf, stackst nach Disney-Art seine Beine wieder gerade, schüttelt sich süß-benommen. Steht. Auch der Schmetterling findet zurück auf den pelzigen Wedel.

Womit Bambi plus Schmetterling nicht gerechnet haben, ist, dass der Panzer Gründlichkeit sowie ziemlich viel kriminelle Energie besitzt. Er rollt erneut an, jetzt im Rückwärtsgang, überrollt Bambi mit Schmetterling ein nächstes Mal.

Dieser Vorgang wiederholt sich.

Again and again and again…

Zuschauer*innen sind johlende, vorlaute Kinder mit großen Mündern.

Sie umzäunen die große Wiese. Rufen hinein. Feuern an.

Es sind garstige Kinder mit großen Zähnen.

Nicht weit entfernt von Bambi plus Schmetterling steht übrigens eine kleine Fabrik auf unserer Wiese.

Sie ist wirklich sehr klein. Eigentlich ist sie nicht zu sehen. Aber sie ist fleißig. Sie produziert Bambi-Kot, das den Wildhüter nur so mit der Zunge schnalzen lässt. Schmetterlings-Kot produziert sie auch. Dienstags. Auch mit dem ist der Wildhüter sehr zufrieden, “sehr zufrieden”, so dass seine gebräunten Zehen in den Überlebens- sandalen fröhlich wackeln.

Again and again. And again and again.

Aus dem Schornstein schiebt sich ab und zu ein Megafon. Entfaltet sich.

Es entspinnt sich ein eingespielter Dialog.

Schornstein & Kinder

SCHORNSTEIN: Und das lasst ihr wirklich zu?

KINDER: Jaaaaaaa!

SCHORNSTEIN: Aber das schöne, süße Bambi!

Das lasst ihr wirklich zu?

KINDER: Jaaaaaaa! Das lassen wir wirklich zu!

SCHORNSTEIN: Und der süße, kleine Schmetterling…?!

KINDER: Jaaaaaaaaa. Das lassen wir zu. Auch das mit dem süßen,
kleinen Schmetterling lassen wir zu!

SCHORNSTEIN: Aber wollt ihr das schöne, süße Bambi und den süßen,
kleinen Schmetterling nicht retten?!

KINDER: Nei-ei-ei-ein-ein-ein. Die wollen wir auf gar keinen Fall retten.
Auf gar keinen Fall.

EIN KIND MIT BESONDERS GROSSEN ZÄHNEN:
Und außerdem ist es uns verboten, diese Wiese zu betreten.

KINDER: Jaaaaaaaaaa. Das ist uns nämlich außerdem verboten.

SCHORNSTEIN: Und nachts? Ist euch das nachts auch verboten?

KINDER: (Kinder überfordert die Frage im Moment. Sie sind sich nicht einig, diskutieren ein bisschen. Dann:)
Nachts haben wir Angst vor der Schäferin.

SCHORNSTEIN: Warum habt ihr nachts Angst vor der Schäferin?

KINDER: Weil die nachts ihre Schafe frisst und Kinder wahrscheinlich auch.

SCHORNSTEIN: Aber warum frisst die Schäferin nachts ihre Schafe?

KINDER: Weil das nachts niemand bemerkt und weil sie große Lust auf so etwas hat.

SCHORNSTEIN: Und am Morgen? Wie viele Schafe fehlen da dann am Morgen?

KINDER: Kein einziges. Am Morgen fehlt da kein einziges Schaf.

SCHORNSTEIN: Aber wie geht das? Wie sollte so etwas möglich sein?

KINDER: Das wissen wir auch nicht. Woher auch?
Das weiß nur der Hund der Schäferin. Der weiß das wahrscheinlich.

SCHORNSTEIN: Dann fragt ihn. Fragt den Hund, wie das zugehen kann,
dass da am Morgen kein Schaf fehlt.

KINDER: Aber das geht doch nicht. Aber das ist doch gar nicht möglich.

SCHORNSTEIN: Warum sollte das nicht möglich sein.
Warum sollte man das den Hund nicht fragen können?

KINDER: Wo sie ihm doch die Zunge vergiftet hat. Wo doch die Schäferin ihrem Hund
die Zunge vergiftet hat. Ja, das hat sie getan.

SCHORNSTEIN: Das Megafon schiebt sich erschrocken in den Schornstein zurück.
Alle können das, was sie gerade gehört haben, nicht glauben.

KINDER: Er kotet! Kotet vollkommen unbeschämt vor uns hin. Der Schäferhund
schaut beim Scheißen verliebt und wir lieben zurück.Würdest du gerne
vollkommen unbeschämt vor uns koten können? Wäre das Kunst? Wäre das
Lust? Oder was wäre das?

BAMBI: Er macht nur einen kleinen Haufen. Einen kleinen, aber festen, doch, relativ
festen, aus zwei, drei Würstchen bestehenden Haufen. Und wir beobachten
das genau. Die Lebewesen lassen sich einteilen in solche, die man beim
Scheißen beobachten kann, und solche, die sich dafür verkriechen.

KINDER: Scheißen heißt in jedem Fall Spuren hinterlassen. 

Hund/ Messer/ Seele

KINDER: Und diese ganze Panzer-Spur-Pfütze hier sollte ausgestanzt und ins Museum
gebracht werden. Die furchtbarsten Orte sollten alle ins Museum gebracht
werden. Da sind doch Spuren auf diesem Stück Erde: An den Halmen kleben
Seelen.

EIN KIND: Wie der Nazikampf? Der Nazikampf hat hier auf einem Stück in
Handtuchgröße stattgefunden, während in der Stadt weiße Handtücher aus
den Fenstern hingen und die Leute sich unter ihren Küchentischen
versteckten.

KINDER: Wir haben alles gesehen!
Der Schornstein ist so lost. Er kennt den Krieg nur aus dem Internet, aus dem
Radio, aus den Zeitungen.

ABSCHIED

GROßM.: Es gibt Menschen, Tiere und auch Fabelwesen. Die Angst haben. Wir nicht. Die
Frauen in unserer Familie haben keine Angst vor gar nichts. Echte Frauen
sterben nicht.


Hör zu, mein Kind: Lass dich nicht wegen Kummer und Sorgen vom Weg
abbringen. Jeder muss seine rote Linie finden und an ihr festhalten.
Verlass dich auf dich selbst. Aber pass nicht allzu sehr auf dich auf, das
schwächt.

Geheimnisse in den Boden flüstern

ENKELIN: Die Großmutter verwächst mit der Dunkelheit. Ich sehe ihr Grab, daraus wächst eine Pflanze ohne Blüten. Ich weiß jetzt schon, wo
meine Großmutter liegen wird. Ich könnte es in den Boden hineinflüstern, so wie der Junge in diesem einen Märchen es mit den
Geheimnissen getan hat. Nachdem ich ein Loch gegraben habe, genauso groß wie mein Mund, vertraue ich das Geheimnis dem Boden
an. Und wenn lange Zeit später daraus die ersten Zweige gewachsen sind, werden sie sprechen, mit oder ohne Wind, das spielt keine
Rolle, diese Pflanze wird flüstern: Die Großmutter ist unsterblich.

Nachts folgen ihr viele Tiere

Schwarze Heuschrecken,

Steine, Schildkröten, Krähen

folgen ihr auf die Wiese

auf die freie Fläche

fern der Ränder

dick gepanzert

à la Chitin

metallener Glanz

Hornhaut

Hornsubstanz

Krallen aus Keratin

krampfende Zehen

Tiger und Panther

Fuchs und Marder

Krähe und Kröte

krallen sich fest

fressen sich rein

in die Erde

pflügen sie

sie penetrieren die Erde

unter sich

sie haben die Aufgabe

Spuren zu hinterlassen

Mulden zu furchen

die benannt werden wollen

die besiedelt werden wollen

die benannt und besiedelt werden müssen

damit es weiter gehen kann

wie es immer weitergeht

All das Aufschütten

und Abtragen

des lehmigen Bodens,

all die Worte

die sich über Zeitalter

und Erdschichten hinweg


Alle Rechte am Text liegen bei den Autor*innen.