WRITING IN ECOSYSTEMS

8.-10. September 2022

Interdisziplinäres Workshopformat zu artenübergreifender Kommunikation in Kooperation mit ELINAS

Im Rahmen des Workshops WRITING IN ECOSYSTEMS beschäftigt sich das NMT* mit artenspezifischen und -übergreifenden Kommunikationsformen und deren Darstellbarkeit sowie auch Möglichkeiten deren Integration in die künstlerische Textarbeit. Wie können Menschen mit anderen Lebewesen interagieren? Welche Kommunikationsweisen besitzt beispielsweise ein Vogel, ein Hund, aber auch eine Pflanze oder sogar ein Einzeller? Mit welchen naturwissenschaftlichen Verfahren lassen sich diese Sprach-Zeichen lesen und wie kann eine intendierte Interaktion mit den untersuchten Spezies hergestellt werden? Sind diese Sprach-Zeichen in poetische Verfahren übertragbar? Was ist die Dramaturgie eines Ökosystems? Diese Fragen bilden den Ausgangspunkt für den dreitägigen Workshop, den das NMT* in Kooperation mit dem Erlanger Center for Literature and Natural Sciences veranstaltet.

WRITING IN ECOSYSTEMS besteht aus drei thematischen Sessions an drei Vormittagen und einer Abschlussveranstaltung am Abend des dritten Tages.

Die Workshops fanden am 8., 9. und 10. September statt. Die Nachmittage waren gefüllt mit offeneren Gesprächs - und Arbeitsformaten, in denen das Vormittags Diskutierte freier bearbeitet werden konnte. Raum für Austausch, Schreiben und Weiterdenken.

Bei der abschließenden öffentlichen Abendveranstaltung am 10. September gingen der Physiker Klaus Mecke und der Theatermacher Tobias Rausch dem Spekulieren als Kunstpraxis und der Kommunikation mit dem extraterrestrisch Unbekannten nach.

Mit freundlicher Unterstützung der Monacensia im Hildebrandhaus.

DIE SESSIONS

SESSION 1: Artenübergreifende Dialoge

Speaker*in: Holger Schulze (Biologie), Stefanie Wenner (Theaterwissenschaftlerin, Theatermacherin)

Moderation: Jan Geiger

Die erste Session versucht auf verschiedenen Ebenen den Dialog des dreitägigen Workshops zu eröffnen. Der Biologe Holger Schulze beschreibt, wie verschiedene Arten miteinander und untereinander kommunizieren und lenkt den Blick auf die biologischen Grundlagen von Sprache bis hin zu der Frage “Welche Rolle spielt das Bewusstsein für die Kommunikation?”. Die Philosophin, Theaterwissenschaftlerin und Künstlerin Stefanie Wenner arbeitet u.a. mit Pilzen, auch, um deren Kommunikationsform für künstlerische Prozesse nutzbar zu machen und fragt dadurch nach einer radikal anderen Form des Publikums: Was, wenn man Theater auch für nicht-menschliches Publikum macht?

Diese unterschiedlichen Positionen treten hier in Dialog, um den Auftakt für die Frage des Workshops zu bilden: Wie können wir mit anderen Arten in einen nicht-anthropozentrischen Dialog treten und diesen für die künstlerische Arbeit nutzen?

Holger Schulze studierte Biologie in Darmstadt und promovierte dort 1996 zu neurophysiologischen Mechanismen des Hörens. Danach wechselte er an das Leibniz Institut für Neurobiologie in Magdeburg, welches sich schwerpunktmäßig der Lern- und Gedächtnisforschung widmet. Nach Forschungsaufenthalten in Helsinki und Montreal habilitierte er sich 2003 an der Medizinischen Fakultät der Universität Magdeburg für das Fach Physiologie. 2007 erhielt er den Ruf auf die Professur für Experimentelle HNO-Heilkunde der Universität Erlangen-Nürnberg. Seine Forschungen beschäftigen sich mit der Neurobiologie des Hörens und Lernens, aktuell mit Mechanismen der Entstehung von Tinnitus.

Stefanie Wenner, Mutter von drei Kindern und Begleiterin eines Hundes, promovierte Philosophin und Professorin an der HfBK Dresden für Angewandte Theaterwissenschaft, arbeitet künstlerisch seit 2014 gemeinsam mit Thorsten Eibeler unter dem Label apparatus. Die Zusammenarbeit mit menschlichen und nicht menschlichen Akteur_innen führte die beiden ins draußen. Seit 2020 befindet sich Stefanie Wenner mit ihrem Projekt Fermate auf Wanderschaft als Lehrling des Bodens. Neuerdings ist sie auch Kundalini Yoga Lehrerin.

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SESSION 2: Artenübergreifende Beziehungen und Konflikte

Speaker*in: Maxi Obexer (Schriftstellerin, Dramatikerin), Matthias Leinich (Leiter einer Vermisstensuchhundestaffel, Assistenzhunde-Trainer)

Moderation: Theresa Seraphin

Der Konflikt, die Art, in der meist menschliche Figuren auf oft unlösbare Weise ineinander verkeilt sind, gilt als die Triebkraft dramatischer Texte. Als Zuschauende werden wir Zeug*innen der Ausmaße des sich entfaltenden Konflikts. Aus anthropozentrischer Perspektive werden artenübergreifende Konflikte sichtbar anhand der Unterscheidungslinien, die der westliche Mensch zwischen sich und den Arten gezogen hat. Über den Tod eines Haustieres trauert man anders als über den scheinbar sinnhaften Tod eines Masttieres, und in der nicht enden wollenden Ausrottung der Wildtiere wird die grausame Gleichgültigkeit sichtbar, die der westliche Mensch allen Arten entgegenbringt, die nicht in seine kapitalistischen Kreisläufe zu integrieren sind. Diesen menschgemachten Hierarchien zum Trotz treten Individuen unterschiedlicher Arten in Kontakt und Beziehung zueinander, erfahren Zuneigung und Nähe, aber auch Verlust und Schmerz. Wie können artenübergreifende Beziehungen auf Augenhöhe gestaltet und gelebt werden? Und wie können wir fern von anthropozentrischen Kategorien von ihnen erzählen? Hierüber diskutieren wir mit dem Hundetrainer Matthias Leinich und der Autorin Maxi Obexer.

Maxi Obexer ist Schriftstellerin, Dramatikerin, Gründerin der Summer School Südtirol (2015) sowie des Neuen Institut für Dramatisches Schreiben (NIDS). Sie lehrte u. a. an der Georgetown University in Washington DC, an der Universität der Künste sowie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Ausgezeichnet u. a. mit dem Robert-Geisendörfer-Preis für Illegale Helfer. Nominiert für den Bachmannpreis für ihren Romanessay Europas längster Sommer, übersetzt ins Englische und Italienische 2020.

Matthias Leinich ist der, der mit Hunden spricht. Durch seine jahrelange Erfahrung in der Ausbildung und den Einsatz von Rettungshunden, u.a. bei der Lawinen- und Vermisstensuchhundestaffel Salzburg, konnte er tief in die Seele unserer vierbeinigen Freund*innen blicken. Erweitern konnte der gebürtige Steirer sein Wissen durch die Arbeit mit Assistenzhunden. Speziell diese Symbiose aus Menschen mit verschiedenen Handicaps und Hunden ist für ihn und viele andere Menschen etwas ganz Besonderes – wie auch das Zusammenspiel im Rettungseinsatz. Ganz nach dem Motto: Im Mensch-Hunde-Team kann alles bewältigt werden.

SESSION 3: Vom Zeichen zum Text

Speaker*in: Sophia Klink (Schriftstellerin, Biologin), Ute Hörner (Bildende Künstlerin)

Moderation: Theresa Seraphin

Im Zentrum der dritten Session steht die Bedeutung von Schrift, Notation und Zeichen in artenübergreifenden Kommunikationsformen. Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive basiert das Verhältnis von Sprache zur Welt auf der Unterscheidung von Signifikant und Signifikat – dem Bezeichnenden und dem Bezeichneten. Ist diese Unterscheidung auch für andere Spezies produktiv? Kann die Spur eines Tieres im Sand als Schrift gelesen werden? Oder ist das Bezeichnende immer nur an den Vorgang selbst – also zum Beispiel das Scharren des Tieres im Boden – gebunden und nicht von ihm zu lösen? Fallen also Signifikant und Signifikat ineinander? Und wie verhält es sich mit kleineren Sprachzeichen auf mikrobiologischer Ebene – wo zum Beispiel die Oberfläche einer Zelle auch als Träger von Informationen dient. Und ist auch ein Gencode letztlich nichts anderes als ein Sprachsystem – aus dem sich verschiedene Satzstrukturen ableiten lassen? Über diese Fragen diskutieren wir mit der Bildenden Künstlerin Ute Hörner (Mitglied des Interspezies Kollektiv CMUK) und der Autorin und Mikrobiologin Sophia Klink.

Sophia Klink, geb. 1993, promoviert in Ökologischer Mikrobiologie und erforscht die Natur in Lyrik und Prosa. Sie wurde zu zahlreichen Seminaren eingeladen, u.a. der Bayerischen Akademie des Schreibens und des Literarischen Colloquiums Berlin. Für ihr erstes Romanprojekt erhielt sie das Münchner Literaturstipendium 2015. Sie wurde gefördert durch Nature Writing Stipendien des British Council 2018 und der Stiftung Kunst & Natur 2019. Zuletzt war sie Finalistin beim 28. open mike.

Ute Hörner und Mathias Antlfinger sind Professor*innen für Medienkunst/Transmediale Räume an der Kunsthochschule für Medien Köln. Ihre Installationen, Videos und Skulpturen handeln von Beziehungen zwischen Menschen, Tieren und Maschinen und eröffnen sowohl kritische Perspektiven auf veränderbare gesellschaftliche Konstrukte, als auch utopische Visionen eines gleichberechtigten Umgangs zwischen den Akteur*innen. Mit den Graupapageien Clara und Karl gründeten sie 2014 das Interspezies Kollektiv CMUK. Ihre Arbeiten wurden auf zahlreichen internationalen Ausstellungen und Festivals gezeigt, u.a. CCA Tbilisi, ZKM Karlsruhe, Shedhalle Zürich, NMFA Taiwan, Ars Electronica Linz, Werkleitz Biennale Halle, Museum Ludwig Cologne, KAC Istanbul, Transmediale Berlin. Seit 2016 sind sie Mitglieder des Minding Animals Netzwerks.

Öffentliches Panel: Vom Spekulieren und dem (extra)terrestrischen Unerkannten

Speaker*in: Tobias Rausch (Theatermacher), Klaus Mecke (Physiker, ELINAS)

Moderation: Theresa Seraphin und Jan Geiger

Ein entscheidender Topos der Sci-Fi-Literatur ist die Begegnung mit dem paradigmatisch Anderen. Ein Anderes, das so anders ist, dass es bisherige Definitionen eines Lebewesens sprengt und Wege der Interaktion mit diesem erst gefunden werden müssen. In der Literatur führt dieses Setting häufig zu Konstruktionen eines Fremden, Anderen, das vor allem in Abgrenzung zum Eigenen und Vertrauten gestaltet wird und uns doch näher bleibt, als uns lieb ist, denn: Nicht selten reproduzieren diese Konstruktionen dabei rassistische und patriarchale Machtverhältnisse. Dem zu Grunde liegenden Dilemma, dass wir uns das, was wir nicht kennen, nicht vorstellen können, begegnet die Wissenschaft mit Technologien, die die Grenzen unserer Wahrnehmungsfähigkeit und unsere Vorstellung davon, was das Andere sein könnte, erweitern soll.

So auch das dieses Jahr installierte James Webb Teleskop, dem in den nächsten 5-10 Jahren der Fund extraterrestrischen Lebens zugetraut wird. Doch um dem paradigmatischen Anderen zu begegnen, müssen wir nicht notwendig in andere Universen schauen. Es reicht, den Bereich des Zwischenmenschlichen zu verlassen, um mit grundsätzlich anderen Raum- und Zeitachsen konfrontiert zu sein. Wie, beispielsweise, können wir die Begegnung einer Viruszelle mit einem Wirt beschreiben? Wie die über Jahrhunderte andauernde Veränderung einer Landschaft? Wie die Wesenhaftigkeit eines Tornados sichtbar machen?

Über die Möglichkeitsbedingungen der Begegnung mit dem paradigmatisch Anderen diskutieren wir mit dem theoretischen Physiker Klaus Mecke und dem Theatermacher Tobias Rausch.

Klaus Mecke studierte Philosophie und Physik und promovierte 1993 an der LMU München mit einer Arbeit über Integralgeometrie in der Physik. Nach seiner Berufung 2004 an die Universität Erlangen-Nürnberg entwickelte er eine Theorie der Quantenraumzeit, die auf endlicher projektiver Geometrie basiert. Ein wichtiger Aspekt seiner Forschung im Erlanger Zentrum für Literatur und Naturwissenschaften (ELINAS) sind die vielfältigen Austauschprozesse zwischen Physik und Literatur, Sein Ziel ist eine Narratologie der Physik sowie ihre prozessontologische Fundierung.

Tobias Rausch arbeitet seit 2001 als Regisseur und Autor sowohl im Stadttheater als auch in der Freien Szene. Zu seinen Stationen gehörten u.a. Deutsches Theater Berlin, Schauspiel Frankfurt, Nationaltheater Mannheim, Staatstheater Stuttgart, Theater Basel, Hebbel am Ufer und Sophiensaele Berlin. Seit 2019 ist er Leiter der Bürger:Bühne am Staatsschauspiel Dresden. Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf Projekten, bei denen der Stücktext auf der Basis von Recherchen entsteht, sowie thematisch auf Umweltthemen. So entwickelt er derzeit mit ehemaligen Bergleuten ein Stück über den Uranbergbau im Erzgebirge (TAUSEND SONNEN, Premiere: 21.10.2022, Staatsschauspiel Dresden) und gemeinsam mit nachtkritik und der Heinrich-Böll-Stiftung initiierte er die Tagung „Klima trifft Theater“ (Berlin 2019) und veröffentlicht regelmäßig zur Frage, wie die Natur auf die Bühne zu bringen ist und welche Herausforderungen sich daraus ergeben.


Möchtest du einmal bei einer Textwerkstatt dabei sein? Dann melde dich bei uns theatertext.muc@gmail.com


WRITING IN ECOSYSTEMS

interdisciplinary workshop format on cross-species communication in cooperation with ELINAS

September 8-10th 2022

In the workshop WRITING IN ECOSYSTEMS the NMT dealt with species-specific and cross-species forms of communication and their representability as well as possibilities of their integration into artistic text work. How can humans interact with other living beings? What modes of communication does a bird, a dog, but also a plant or even a single-celled organism possess? Which scientific methods can be used to read these linguistic signs and how can an intended interaction with the species under investigation be established? Are these language-signs transferable into poetic procedures? What is the dramaturgy of an ecosystem? These questions formed the starting point for the three-day workshop organized by the NMT in cooperation with the Erlangen Center for Literature and Natural Sciences (ELINAS).

SESSION 1 Cross-Species Dialogues

Thursday, Sept. 8; 10 a.m. - 1 p.m.; Forum, Salon Hildebrand

Speaker: Holger Schulze (biology), Stefanie Wenner (theater scientist, theater maker)

 

SESSION 2 Interspecies Relationships and Conflicts

Friday, 9.9.; 10 a.m. - 1 p.m.; Forum, Salon Hildebrand

Speaker: Maxi Obexer (writer, playwright), Matthias Leinich (dog trainer)

 

SESSION 3 From Sign to Text

Saturday, Sept. 10; 10 a.m. - 1 p.m.; Forum, Salon Hildebrand

Speaker: Sophia Klink (writer, biologist), Ute Hörner (visual artist)

 

Public Panel: On Speculating and the (Extra)terrestrial Unknown

Saturday, 10.9.; 8 pm, Forum

Prof. Mecke (physicist), Tobias Rausch (theater maker)

The workshops took place on September 8, 9 and 10 and lasted approximately three hours. The afternoons were filled with more open formats for discussion and work, in which what was discussed in the morning was worked on more freely. Space for exchange, writing and further thinking.

With the kind support of the Monacensia im Hildebrandhaus.